In Treue zu immer neuen Ufern


20 Jahre Gemeinsamkeit

Mit ihrer orange flammenden Mähne stach sie aus der Gruppe der Absetzer heraus, als ich 1995 im Gestüt Grabau meine Arbeit aufnahm. Myrthe war ein Überraschungsfohlen aus der alten Marbacher Stute Magdalena, einer Tochter von Gharib. Sie war schon einige Jahre güst geblieben und nun hatte sie doch noch ein Stutfohlen von Solanum (Mashour x Souhayla) bekommen. Es war von Anfang an ein besonderes Fohlen, das immer anders als die anderen war. Nicht eben fehlerfrei, aber ein durch und durch klassischer Typ mit eleganter Ausstrahlung.

In dem großen Pulk von Jungpferden in den großen Laufställen des ehemaligen Remontedepots hatte sie unbeschwerte Zeiten und viele Spielkameraden, war aber dennoch nie ein wirklich fröhliches Pferd. Als ich nach Jahren der Ausbildung und Familie wieder in den Sattel stieg, wurde Myrthe mein Lehrmeister und gemeinsam entdeckten wir die Spielregeln von Horsemanship und Légèreté. Sie lehrte mich Geduld, Abwarten, Nachgeben, Focus, Beständigkeit und Mut. Was haben wir nicht alles gemeinsam bewältigt: Distanzritt durch die Ströhener Au, Trainerscheine C und B, Familienferien gleich einer Karawane mit Pferden, Hunden und Kindern auf der Insel Föhr. Dort frei in der Nordsee fotografiert von Gabriele Boiselle. Dann wieder Messen, Schauauftritte, Turnierveranstaltungen mit meinen reitenden Töchtern, Fahrabzeichen und Dressurkutsche, Schule der Légèreté bei Philippe Karl, Springunterricht mit Sprung über die Entenhäuser in Heist, Meisterprüfung zum FN-Pferdewirtschaftsmeister in Futterkamp, Cow-working-Camp in der Eifel und ungezählte Horsemanship-Kurse bis zum Level III des Parelli-Systems.

Mit 15 Jahren dann das Reitverbot. Immer wieder war sie unter dem Sattel zusammengebrochen. Erst nur vorne wie gestolpert, dann auch hinten und das in allen Gangarten. Mehrfach blieb mir nur ein Salto nach vorne. Eine Szintegraphie ergab eine Knochenwucherung am Kreuzdarmbeingelenk, Ursache ungeklärt. Diese Wucherung schien unkontrollierbar bei bestimmten Haltungen auf Nerven zu drücken, was die Zusammenbrüche bewirkte.

Sie ohne Reitergewicht vor der Kutsche weiterhin gehen zu lassen, wurde auch als zu riskant bewertet. Also ab auf die Weide, zuschauen wie die Freundinnen ihre Fohlen groß zogen. Myrthe war hochgradig gelangweilt und grantig, obwohl sie keine Schmerzen hatte und ohne Reiter auch nie wieder zusammengebrochen war. Also ließen wir sie mit 17 Jahren zum ersten Mal decken und sie brachte ihr erstes Fohlen auf die Welt. Ein riesengroßes Stutfohlen von Metronom, das leider verkehrt herum gelegen hatte und nur noch tot geborgen werden konnte. Welch ein Schmerz, welch eine Trauer. Eine ganze Nacht versuchte sie mit Lecken und Zwicken ihr Fohlen zum Leben zu erwecken. Tagelang suchte ich daraufhin nach einem Waisenfohlen, was aber erst nach fünf Tagen gelang. Ich brachte Myrthe zu einem Oldenburger Hengstfohlen in die Nähe von Hannover. Die Milch floss und der Kleine trank aus der Flasche unter ihrem Euter, aber sie ließ ihn nicht an sich ran. Er stand in der einen Ecke der Box, sie in der anderen und nach drei Tagen erhielt ich den Anruf der Züchter, es sei wohl besser, die Stute wieder abzuholen. Bevor ich mich auf den Weg machte, sollten sie noch einen Versuch machen und das Fohlen aus der Box entfernen, um zu sehen, wie Myrthe darauf reagiert. Sie tobte und schlug um sich, ging mit allen vieren in die Luft und schrie. Da haben sie ihr ganz schnell das Fohlen zurück gegeben und angelegt und seitdem führte sie sehr stolz ihr Fohlen über die Wiesen.

Nachdem sie ihre Mutterqualitäten auf diese Weise so eindrucksvoll belegt hatte, wagten wir noch einen Versuch und zwei Jahre später bekam sie ein gesundes, langbeiniges und typvolles Hengstfohlen (von Metronom), das mit einer Prämie ausgezeichnet wurde und super Bewegungen hat. AA Meydan war das Highlight ihres Lebens. Sie war inzwischen 20 Jahre alt und so glücklich wie nie zuvor. Eine so starke, strahlende, umsorgende und stolze Mutter, die endlich ihrer Bestimmung folgen durfte. Das Mädchenhafte war verschwunden, die damenhafte Geziertheit überwunden und ihr ganzes Wesen strahlte vor Souveränität. Sie war in ihrem Element und endlich angekommen. All das Reiten, Fahren, die Kurse – alles hatte sie nur aus Treue zu mir mitgemacht und jetzt durfte sie zur Belohnung ihr Mutterdasein genießen. Sie sah unglaublich schön aus in dieser Zeit.

Die Freude wurde jäh getrübt als Meydan 4 Monate alt war und Myrthe immer mehr abbaute. Wir vermuteten Auszehrung durch das Fohlen trotz intensiver Zufütterung. Nach dem Absetzen folgte trotz vieler kleiner Mahlzeiten auch keine Zunahme. Da vermuteten wir Trennungsschmerz, ließen aber vorsichtshalber auch die Zähne nachsehen. Der Tierarzt fand entzündete Zahnlücken und empfahl weiche Nahrung. Mit Mash und Cobs überstand sie den Winter und verlebte auch noch einen schönen Sommer auf der grünen Weide zusammen mit ihrer 23-jährigen Freundin Wanessa. Im letzten Winter plagten sie dann immer wieder arge Schmerzen und sie lag oft, ging aber jeden Tag mit den anderen raus. Bis letzten Freitag, da ging auch das nicht mehr, weil sie nicht mehr hoch kam. Sie war so abgemagert und geschwächt, dass ihre Beine sie nicht mehr tragen konnten. Im Liegen fraß sie noch ein paar Möhren und obwohl ich es ungehörig und pietätlos empfand, kam ihre lebenslange Freundin Wanessa heran, stibietzte ihr eine und gemeinsam, Nüster an Nüster, mümmelten sie diesen Leckerbissen. Das war gut so und ein guter Abschied.

Bei der späteren Untersuchung stellte sich heraus, dass Myrthe eine Abschnürung des Dünndarms hatte. Es sah aus wie ein abgeschnürter Knick, an dem eine Tasche mit Gewebe hing. Sah nicht aus wie ein Tumor, aber das Darmrohr war an der Stelle wie zu einem Trichter verengt. Durch diesen Engpass musste das Futter sich schieben und so war es kein Wunder, das der Darm davor so hart wie Leder war und sie nur noch kleine, weiche Mengen aufnehmen konnte. Warum die Abschnürung, warum die Knochenwucherung – keine Begründung. Was hat sie alles ausgehalten. Bis auf eine Kolik, die das Ende schon ankündigte, immer alles stoisch ertragen.

Treu bis ans Lebensende – mehr Araber geht nicht. Danke!

Bettina von Kameke